MONCRIEFF
„Die Musik war für mich schon immer eine Linse, durch die ich die Welt betrachte …, um meine Gefühle zu sortieren.“ Eigentlich kaum zu glauben, dass es einen Punkt gab, an dem die Musik im Leben von Chris Breheny nicht...
Weiterlesen„Die Musik war für mich schon immer eine Linse, durch die ich die Welt betrachte …, um meine Gefühle zu sortieren.“ Eigentlich kaum zu glauben, dass es einen Punkt gab, an dem die Musik im Leben von Chris Breheny nicht die Hauptrolle gespielt hat. Dass sie damals eher im Hintergrund mitlief und bloß ein Soundtrack für den jungen Iren war – also noch nicht Lebensmittelpunkt und wichtigstes Ventil. Doch es stimmt: Bis zu seinem 15. Lebensjahr war die Musik noch keine Selbstverständlichkeit, kein sinnstiftendes Element für den jungen Künstler, der sich seit ein paar Jahren Moncrieff nennt. Wenn man ihm also damals verraten hätte, dass irgendwann selbst Elton John und Avicii bei seinen Songs hellhörig werden würden, hätte er das wohl mit einem Fingertippen an der Stirn quittiert – und kein Wort davon geglaubt. „Ich bin nun mal auf dem Land aufgewachsen, und in dem Teil von Irland war die Musik eher etwas, auf das man herabschaute in manchen Kreisen. Stattdessen machte man als Jugendlicher halt eher Sport, um dazuzugehören“, so Moncrieff, der in seinem Sound klassische Soul/R&B-Einflüsse in zeitgenössisch-elektrisierten Pop extrem mit viel Tiefgang verwandelt. Chris’ musikalische Reise begann im Alter von sechzehn Jahren – mit dem tragischen Verlust seiner Schwester: „Ich hab danach andauernd die Schule geschwänzt, bin mit dem Moped meines Bruders an den einsamsten Ort gefahren, den ich finden konnte, und habe dort stundenlang alleine Musik gehört.“ Obwohl er an dem Punkt noch kein einziges Lied geschrieben hatte, wurde die Musik zu einer ständigen Quelle des Trostes und der Ermutigung, zu einem immer wichtigeren Ventil. Schließlich hat „man ja sonst mit 16 noch nicht so die Kanäle, um seine Gefühle auszudrücken“, wie er sagt.
Zwei Jahre später schubste ihn das Leben noch tiefer in ein Loch – und noch weiter in Richtung Songwriting: Auch sein größerer Bruder war plötzlich nicht mehr da. „Ich hatte an dem Punkt immerhin eine Band, mit der wir in den Pubs bei uns in der Gegend auftraten.“ Coversongs und Kompromisse. Andere Musikgeschmäcker und übernommene Posen. „Wir waren auch noch ziemlich mies – aber das gehört wohl zum Leben dazu. Lustig war’s trotzdem.“ „Die Musik wurde nach und nach einfach überlebenswichtig. Zunächst war ich mir dieser Tatsache allerdings gar nicht wirklich bewusst.“
Das emotionale Chaos jener Phase hatte auch sein Gutes: Es machte Chris endgültig zu einem Songwriter. Die Tragik und der Zerfall der Familie machten ihm klar, dass die Musik mehr für ihn war, „dass sie eine Sache war, ohne die ich nicht mehr leben konnte.“ Auch das Jurastudium, das er zwischenzeitlich begonnen hatte, die Vision einer klassischen Laufbahn und eines eher gewöhnlichen Lebens: plötzlich wirkte das alles dermaßen falsch, weil genauso fragil und volatil, dass daran nicht mehr zu denken war. Er wollte seinen Traum leben – und zwar unbedingt. „An dem Punkt fasste ich den Entschluss, diesen Weg zu gehen. Ich musste einfach nach London gehen und Musik machen: soviel ich konnte, rund um die Uhr. Ab dem Punkt schrieb ich einfach nur Songs: Ich konzentrierte mich voll darauf, um herauszufinden, wer ich bin, was ich zum Ausdruck bringen will.“ „Selbst diese schlimmen frühen Songs waren irgendwie wichtig, weil ich darin Gefühle rauslassen konnte, die sonst drohten, mich zu übermannen.“
Auch wenn er ab diesem Punkt mit Hochdruck an seinem Können als Songwriter arbeitete, gab es in London zunächst Startschwierigkeiten: Die ersten Auftritte bei Open-Mic-Nächten liefen zwar okay, aber sein Job in einer Bar reichte kaum, um die Miete zu bezahlen. Als dann nach ein paar Monaten die erste Euphorie verpufft war, spürte er immer deutlicher, „dass die Leute in London nicht alle so freundlich sind wie die Menschen in Irland“, wie er lachend erzählt.
Einer dieser Londoner jedoch entpuppte sich unwissentlich als wichtiger Weichensteller: Ein „Typ, der eher wie ein Banker aussah“, spendierte ihm eines Abends nach einem ziemlich verkorksten Open-Mic-Auftritt ein Bier (und dann noch eins…), weil Moncrieffs extrem persönlicher Song, in dem es um den Tod der Geschwister ging, ihn als Leidensgenossen eiskalt erwischt hatte. „Das war so ein Moment, in dem das Universum zu mir gesprochen hat“, meint er rückblickend und muss selbst lachen, schließlich war die von einer Verlobten in Flirtlaune flankierte Stimme des Universums keineswegs nüchtern in jener Nacht. „Dieser Typ hat mit seinem Zuspruch dafür gesorgt, dass ich weitermache. Es war genau das, was ich hören musste. Es kam im entscheidenden Moment.“ So entscheidend, dass sich Chris den Nachnamen jenes „Banker-Typens“ zum Künstlernamen machte: Moncrieff. „Nach dem Abend hatte ich zum ersten Mal ein Lächeln in Gesicht – und das in London!“ Was die Musik selbst angeht, entpuppte sich die Metropole an der Themse danach als goldrichtiger Einfluss: „Ich kam durch London mit so vielen Dingen in Kontakt, so vielen Stilen und Sounds, das war echt der Wahnsinn“, so der Songwriter, der schon mit 16 Jahren die Musik von Ray Charles, Otis Redding und Etta James über alles liebte, weil deren „Stimmen so unwahrscheinlich groß sind und sie so viel Gefühl darin transportieren können.“ Zufall, Glück, Fügung, Schicksal, wer weiß das schon: Irgendwer oder irgendwas jedenfalls hatte auch mit ihm Großes vor und sorgte dafür, dass seine nach und nach reifer und ausgefeilter klingenden Songs selbst von den Größten der Großen gehört wurden: „Irgendwann bekam ich einen Anruf, ob ich nicht Background-Vocals für Adele bei einer BBC-Performance singen könnte“, erinnert er sich, „ja, und jetzt gibt es irgendwo noch Aufnahmen, wie ich mit Babyface hinter ihr im Studio stehe.“ Als dann seine erste Single „Symptoms“ im Frühjahr 2018 erschien, wurde selbst Sir Elton John hellhörig und feierte den Song in seiner Show. Wenig später stand sogar ein Flug nach L.A. und eine Verabredung mit Avicii (1989-2018) auf dem Programm, um gemeinsam an einem Song zu arbeiten – doch leider kam ein weiterer schmerzhafter Beweis für die Flüchtigkeit des Lebens dazwischen … „Ehrlichkeit ist Ehrlichkeit in jedem Genre. Verletzlichkeit ist Verletzlichkeit – in jedem Genre.“
Nachdem 2019 mit „The Early Hurts“ seine Debüt-EP erschienen war, hat Moncrieff die letzten Jahre genutzt, um weiter an seinem Sound zu feilen, der für ihn im Bestfall in keine Genrekategorie passt: „Ich fand das schon immer sinnlos, sich so eine Kategorie auszusuchen, in die danach die eigene Musik immer reinpassen sollte. Schließlich ist es doch so: Ehrlichkeit ist Ehrlichkeit in jedem Genre. Verletzlichkeit ist Verletzlichkeit – in jedem Genre.“
Begriffe wie Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gehen ihm da schon viel besser über die Lippen, um die jüngsten Songs wie etwa die Single „Warm“ zu beschreiben, die er im Frühjahr 2022 auch im Frühstücksfernsehen der ARD präsentieren konnte, nachdem sie kurz davor bereits die Top-10 der irischen Airplay-Charts aufgewirbelt hatte: „Nachdem ich jetzt schon ein paar Jahre lang intensiv schreibe, habe ich inzwischen die Tools, um wirklich persönliche, schlichte, direkte Songs zu erschaffen, die ganz ohne Effekte auskommen, die einfach eine kleine Geschichte erzählen.“ Gerade dieses „ohne Firlefanz“ wiederholt er gleich noch einmal, und ergänzt: „Mir ist wichtig, dass die Leute wissen, dass es echt ist, wenn ich meinen Mund aufmache. Egal, ob es nun ein Lovesong ist oder ein Stück, das von einem anderen Aspekt meines Lebens handelt. Es geht immer um Geschichten, mit denen sich die Leute im Idealfall identifizieren können.“
Diese umwerfende Intimität, die nicht nur „Warm“, sondern auch die anderen Songs (etwa „Ruin“) der gleichnamigen, im September 2022 veröffentlichten Debüt-EP fürs neue Label energie auszeichnet, ist wohl auch der Tatsache geschuldet, dass er alles in kleinstem Kreis macht. „Man muss die Leute an einer Hand abzählen können, damit sich hinterher ein emotionaler Faden durch die Songs zieht. Diese Leute wissen alles über mein Leben. Die wissen, wann es mir schlecht geht, wann ich happy bin. Auch das macht die Musik so intim.“ Zurück nach ausgiebiger und durchweg gefeierter Tournee, in deren Rahmen er die gefühlvoll-explosiven Kompositionen seiner aktuellen EP endlich auch live vor Publikum präsentieren konnte – für ihn mit 25 Konzerten in 12 Ländern binnen gerade mal 33 Tagen der „craziest month“ überhaupt –, schlägt Moncrieff zum Jahreswechsel das nächste Kapitel auf: Mit der neuen Single „What Am I Here For“ verwandelt er die ganz großen Fragen in eine mitreißende Liebeserklärung.
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Stefan Güntner
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